Wenn Weizen krank macht: Mainzer Forscher um Prof. Detlef Schuppan suchen nach Lösungen

 

Es gibt mittlerweile eine Reihe von Menschen, die generell auf Weizen verzichten…

Für über 90 Prozent der Bevölkerung ist Weizen wahrscheinlich nicht schädlich.

Deshalb sind pseudowissenschaftliche Bücher zum Thema Weizen nicht zu empfehlen. William Davis, z.B., der Autor von "Weizenwampe", ist Kardiologe und schreibt über metabolische Prozesse und insbesondere den Gastrointestinaltrakt. Ein weiterer Bestsellerautor ist ein Neurologe, David Perlmutter, der "steile" Hypothesen zur ursächlichen Rolle von Weizen bei sogenannten neurodegenerativen Erkrankungen (z.B. M. Alzheimer oder Demenz) aufstellt. Beide Autoren konnten ihre Theorien bisher allerdings nicht wissenschaftlich belegen.

 

 

Eine "kleine Wahrheit" enthalten solche Publikationen meist doch: "Wenn man zu viel Weizen, Kohlenhydrate etc. isst, nimmt man zu." "Wenn man überwiegend Vollkornprodukte isst, nimmt man weniger stark zu." Das sind aber Binsenweisheiten, die schon lange bekannt sind!

Und um auf die ATIs zurück zu kommen: Wenn im Weizen bzw. in bestimmten anderen Getreidesorten ATIs vorhanden sind, die Entzündungen verstärken, kann es bei Menschen, bei denen chronische Entzündungen bestehen – das sind ca. 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung, zu einer Verstärkung der Entzündungsreaktionen und so zu einer Verstärkung der Symptome kommen.

In unseren Tiermodellen haben wir diesen Effekt gesehen. Z.B. lassen sich bei der zentralnervösen entzündlichen Erkrankung Multiple Sklerose die Symptome durch die orale Zufuhr von ATIs verstärken, d.h. diese verstärkende Wirkung kann auch das Zentralnervensystem betreffen.

und folgender Artikel:

Von Denise Frommeyer am 8.7.17 @ Wiesbadener Kurier

 

Der Bauch grummelt. Ein Druckgefühl macht sich im Unterleib breit, die Luft möchte raus aus dem Darm. Dazu kommen Durchfall oder Verstopfung, Erbrechen, Kopfschmerzen. Woran das liegt? An einer einzelnen Scheibe Weißbrot. Einem Keks. Oder an einer Portion Nudeln. Glutenunverträglichkeit oder auch Zöliakie betrifft etwa 0,2 Prozent der Deutschen. Sie vertragen das Klebeeiweiß, das in vielen Nahrungsmitteln zu finden ist, nicht. Die Folge: Entzündungen der Darmschleimhaut.

 

Einer, der sich seit Jahren mit diesem Thema beschäftigt, ist Professor Dr. Dr. Detlef Schuppan, Gastroenterologe an der Universitätsmedizin Mainz. Mit seinem Team entdeckte er bereits 1996 das körpereigene Zöliakie-Autoantigen Gewebetransglutaminase, ein Enzym, welches bei Zöliakiepatienten das aufgenommene Gluten im Darm so verändert, dass es entzündungsfördernd wirkt – und so die oben genannten, unangenehmen Symptome auslöst. Mit dieser Entdeckung entwickelte er auch den weltweit eingesetzten Bluttest zur Diagnose der Zöliakie. Die Zahlen von mit diesem Test in der Allgemeinbevölkerung diagnostizierten Zöliakie-Patienten seien in den vergangenen Jahrzehnten erheblich gestiegen, so der Mediziner. „Wir wissen aber noch nicht konkret, woran es liegt.“ Er vermutet: Die Lebensumstände, bestimmte Darminfektionen, die Qualität und Anzahl der Darmmikroben und damit der Zustand des Immunsystems des Darms könnten eine Rolle spielen. „Dies hängt auch mit der Ernährung zusammen.“

 

Verzicht hilft bei Autoimmunkrankheiten

 

Den Experten fiel vor einiger Zeit allerdings auf, dass manche Patienten trotz fehlender Zöliakie oder Weizenallergie unter Beschwerden litten, sobald sie Weizenprodukte zu sich nahmen. Die Suche nach möglichen Auslösern begann. Fündig wurden Schuppan und sein Forschungsteam schließlich bei einem Protein, das sich, ebenfalls wie das Gluten, in den Weizenkörnern findet. Die Amylase-Trypsin-Inihibitoren (ATIs) sind die Ursache für eine leichte Entzündungsreaktion des Darmes. Diese dritte entzündliche Erkrankung wird „Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität“ oder auch ATI-Sensitivität genannt.

 

Sein Team fand heraus, dass sich diese ATI-Sensitivität mit Autoimmunkrankheiten wie Rheuma oder Multiple Sklerose verschlechtern kann. Bei Patienten, die in ihrer Ernährung auf Weizen verzichteten, besserten sich häufig die Symptome dieser Krankheiten. Die Symptome der Weizensensitivität sind zum Teil ähnlich denen der Zöliakie. „Daher ist es mitunter schwierig, herauszufinden, ob der Patient an einer ATI-Sensitivität leidet.“ Hier helfe erst einmal nur eine Ausschlussdiagnose.

 

Für die Schwere der Symptome könnte die Aufbereitung der Nahrung eine Rolle bei der Unverträglichkeit spielen. Diesen Zusammenhang erforschen Schuppan und seine Kollegen derzeit in Zusammenarbeit mit Weizenforschern. Denkbar sei auch, dass die Weizensorten eine Rolle spielen, sagt Schuppan. „Alte Sorten weisen zwar ATIs auf, in der Genetik des Weizens hat sich aber in den vergangenen Jahrzehnten einiges verändert. Dabei kann es erhebliche Unterschiede zwischen Weizensorten geben, die in benachbarten Feldern angebaut werden.“ Die Eiweiße seien aber schon immer in der Nahrung vorhanden gewesen, ihre Mengen und ihre entzündungsfördernde Aktivität sind aber unterschiedlich und können so zu einem Problem geworden sein.

 

Schuppan rät jedem, der von einer chronischen Autoimmunkrankheit wie Rheuma, Neurodermitis oder Multiple Sklerose geplagt wird, einen Monat lang auf Weizenprodukte zu verzichten. Dazu gehören auch Emmer, Roggen und Dinkel, was viele laut Schuppan nicht wissen. Völlig unproblematisch sei aber zum Beispiel Hafer. „Im Prinzip sollten sich die Personen vier Wochen lang wie Zöliakie-Patienten ernähren. Das fällt am Anfang vielleicht schwer, aber man gewöhnt sich daran. Und: „Viele Patienten aus meiner Sprechstunde berichten über eine Besserung ihrer Krankheitssymptome.“

 

Studien zu dem Thema sind bereits für dieses Jahr geplant. Kleinere Patientengruppen mit definierten Autoimmunkrankheiten, wie etwa Multiple Sklerose oder autoimmune Leber- und Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa) sollen sich ein halbes Jahr lang wie bisher oder weizenfrei ernähren. Neben einer Auswertung der Symptome werden immunologische Bestimmungen durchgeführt. Damit wollen die Forscher den positiven Effekt einer weizenfreien Ernährung bei Autoimmunkrankheiten klar belegen.

 

Viren könnten mitverantwortlich sein

 

Für Zöliakie-Patienten hofft Gastroenterologe Schuppan auf die Entwicklung eines Stoffes, der das Enzym, das die durch Gluten verursachte Darmentzündung erst möglich macht, die Gewebetransglutaminase, hemmt. „Da sind wir schon recht weit gekommen.“ In einer klinischen Studie, die in Deutschland, Finnland, und Norwegen stattfinden wird, sollen je 40 Patienten eine kleine Dosis Gluten zusammen mit verschiedenen Dosen des Medikaments sowie eine Gruppe ein Placebo erhalten. Die Darmstädter Firma Zedira hat den Wirkstoff entwickelt und die Freiburger Firma Falk die klinische Entwicklung vorangebracht. „Ich verspreche mir davon sehr viel. Die Patienten müssten so nicht mehr auf jede kleinste Menge Gluten, zum Beispiel in normalerweise glutenfreien Soßen oder Süßigkeiten achten.“

 

Vielversprechend klingt da für manchen auch die Forschung der Immunologin Bana Jabria von der University of Chicago. Mit einem internationalen Forscherteam fand sie heraus, dass bestimmte Viren mitverantwortlich für die Glutenintoleranz sein könnten. Diese Erreger sind für den Organismus eigentlich harmlos, für Menschen mit genetischen Veranlagungen für Zöliakie könnten sie allerdings eine Bedrohung darstellen. Im Darm werden die Getreideproteine schließlich nicht mehr toleriert, sondern als Aggressoren empfunden. Die Zellen, die den Darm normalerweise vor den Angriffen mit Viren schützen, sehen Gluten als Feind an und bekämpfen ihn. Diese Reaktionen beobachteten die Forscher erst einmal nur bei Mäusen. Ob sie auch auf Menschen übertragbar sind, ist noch offen.

Für die Forscher gibt es jedenfalls noch einiges zu tun – damit die Patienten in ein paar Jahren oder Jahrzehnten beschwerdefrei Weizen genießen können.

 

Originalartikel @ http://www.wiesbadener-kurier.de/vermischtes/leben-und-wissen/wenn-weizen-krank-macht-mainzer-forscher-um-prof-detlef-schuppan-suchen-nach-loesungen_18022243.htm